The Haunted Hotel (1878) von Wilkie Collins

Es ist Ende Oktober. In den Einkaufsläden finden sich neben Weihnachtsgebäck und Lichterketten Regale mit Kürbissen und Plastikskeletten zum Aufhängen. Mit anderen Worten, Halloween steht vor der Tür.
Passend dazu eine kurz und knappe Leseempfehlung für Freunde von Schauergeschichten: The Haunted Hotel: A Mystery of Modern Venice von Wilkie Collins.

Der englische Schriftsteller erzählt hier eine Geschichte von Liebe, Habsucht, Wahnsinn und – der Titel Das Gespensterhotel lässt es bereits erahnen – geheimnisvollen Geistererscheinungen. Der Großteil des Buches ist aus der Perspektive der gutherzigen Agnes Lockwood erzählt. Noch vor Einsetzen des Textes löst ihr Verlobter, Lord Montbarry, ihren Bund auf um stattdessen die Gräfin Narona zu heiraten, die er erst kurz zuvor kennenlernte und um deren Lebenswandel in ganz Europa wilde Gerüchte die Runde machen. Agnes ist tieftraurig, aber ihre gute Art hindert sie daran Groll der Konkurrentin gegenüber zu empfinden. Die Gräfin selbst verkraftet die Situation weniger gut: noch vor Antritt der Hochzeitsreise nach Venedig wird sie von der festen Überzeugung geplagt, Agnes werde in naher Zukunft ihren Untergang einleiten. Eine selbsterfüllende Prophezeiung wie sich später herausstellen soll.

Lord Montbarry und Gräfin Narona brechen schließlich, gemeinsam mit deren spielsüchtigen Bruder Baron Rivar und dem Kutscher Ferarri, in Richtung Italien auf. Dort wohnen sie in einem bereits in die Jahre gekommenen Herrenhaus bis Lord Montbarry schwer erkrankt und trotz zu Rate ziehen der zwei besten Ärzte, die sich in der Lagunenstadt finden lassen, verstirbt. Montbarrys Hinterbliebende in England glauben anfangs nicht recht diesem Hergang der Ereignisse, fürchten ein Verbrechen um die Auszahlung einer kürzlich abgeschlossenen Lebensversicherung willens, zumal das spurlose Verschwinden Ferarris einen weiteren Schatten auf das Geschehene wirft. Jedoch bestätigt eine Untersuchung der Versicherungsgesellschaft vor Ort und eine Befragung der Ärzte die offizielle Geschichte.

Agnes, am Boden zerstört, zieht sich als Kindermädchen für ihre Verwandten, die neuen Lord und Lady Montbarry, auf das englische Land zurück. Das venedische Herrenhaus wird von einer Investorengruppe, an der auch Agnes’ langjähriger Verehrer Henry Westwick beteiligt ist, aufgekauft und zu einem Hotel umgebaut. Nach einer Weile reisen die Montbarrys mitsamt ihrer ganzen Familie ebenfalls nach Venedig und kommen, ohne zu wissen, dass dies der Ort ist, an dem ihr Verwandter seinen Tod fand, in besagtem Hotel unter. Nacheinander bewohnen einige von ihnen, noch immer nichts ahnend, das ehemalige Krankenzimmer des verstorbenen Lord Montbarry und alle werden von mysteriösen Erscheinungen geplagt: eine merkwürdige Appetitlosigkeit, ein beißender Gestank, den nur sie wahrzunehmen scheinen, schließlich eine Geistervision.

Auch die Gräfin Narona, die Versicherungssumme schon längst während eines Amerikaaufenthaltes durch Baron Rivars Spielsucht verloren, erscheint in Venedig. Mehr denn je besessen von der Idee durch Agnes unterzugehen. Um nicht länger auf das Eintreffen dessen, was sie für ihr unausweichliches Schicksal hält, warten zu müssen fädelt sie es ein, dass nun auch Agnes in dem verfluchten Zimmer unterkommt und versteckt sich vor Einbruch der Nacht selbst darin, damit sie was auch immer geschehen mag beiwohnen kann. Die Ereignisse dieser Nacht rauben der Gräfin vollends den Verstand und in einer Art von Fieberwahn beginnt sie ein Theaterstück zu schreiben, in dem sie unbewusst den Schlüssel zu all den grauenhaften Geheimnissen des Hotels preiszugeben…

The Haunted Hotel erinnert an The Tell-Tale Heart (1843) und andere Klassiker der Schauergeschichten Edgar Allan Poes und ist allen Freunden des Meisters des gepflegten Spuks ans Herz gelegt. Wilkie Collins’ Spätwerk hat den Ruf durch dessen übermäßigen Opiumkonsum an Qualität gegenüber seinem früheren Schaffen eingebüßt zu haben, aber hier blitzt durchaus noch einmal sein ohne Zweifel vorhandenes Talent auf.